Geschichte Woche 4
Nach Lukas 2,43-44
Oh nein, was sollte ich nur machen. Ich schwankte zwischen abspringen und Jesus suchen und bei Maria und Josef bleiben, um sie irgendwie auf das Fehlen Jesu aufmerksam zu machen. Aber ich musste mich schnell entscheiden. Oh man, oh man, was war richtig? Vor Nervosität biss ich mir auf den Finger. Au, das tat weh. Mit zitternden Knien sah ich nach unten. Ganz schön hoch. Es wäre wohl keine gute Idee, vom Esel hinunter zu springen. Sämtliche meiner kleinen Knochen wären gebrochen und ich würde unter die Füße der nachfolgenden Leute kommen. Nein, mir blieb nichts anderes übrig, als Maria und Josef zu begleiten.
Mit einem Kopf voller Gedanken lief ich auf der Decke des Esels auf und ab. Es musste doch eine Lösung geben. Nur welche? Meine Hand rieb sich nachdenklich das Kinn. Aber je mehr ich nachdachte, umso weiter entfernten wir uns vom Tempel und erreichten schließlich die Stadttore. Und mir fiel immer noch keine Lösung ein. Missmutig setzte ich mich schließlich hin, meinen Kopf auf den Ellbogen gestützt und mit zusammengezogenen Augenbrauen. Je weniger ich eine Lösung fand, umso wütender wurde ich auf mich. Das konnte doch nicht wahr sein, dass ich einfach nicht in der Lage war, einem kleinen Jungen und seinen Eltern zu helfen. Gut, zugegeben, so klein war Jesus nun auch nicht mehr, aber doch noch auf die Hilfe und Fürsorge seiner Eltern angewiesen. Ich grummelte leise vor mich hin.
Wir kamen gegen Abend endlich an einen Platz, wo wir ausruhten und ein Nachtlager aufschlagen konnten. Jetzt musste es ihnen doch auffallen, dachte ich und richtete meinen Rücken ruckartig auf. Alle anderen rings um uns herum machten ein Feuer, so wie Josef und legten ein paar Brote zum Abendbrot zurecht. Kurz bevor alles fertig war, wandte sich Maria an Josef.
„Gehst du nach Jesus schauen? Wir wollen doch gemeinsam essen und ich hätte ihn auch gern zum Schlafen bei uns.“
Na endlich begannen sie mit der Suche nach Jesus. Das wurde aber auch Zeit. Schnell sprang ich vom Esel hinunter und klammerte mich an Josefs Mantel fest, bevor er losgehen konnte.
„Ja, das mache ich. Ich bin gleich wieder zurück.“, gab Josef Maria zur Antwort, ohne zu wissen, dass er erfolglos zurück kehren würde.
Maria nickte und wandte sich wieder dem Abendbrot zu, dass noch weiter vorbereitet werden musste.
Ehe ich mich versah, setzte sich Josef auch schon in Bewegung. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, nicht weiter hinauf zu klettern und mich nicht auf die Schultern zu setzen? Der Mantel Josefs schlug im gleichmäßigen Schritt gegen seine Beine und wogte im Gang hin und her. Mir war ganz schwindelig und alles begann sich um mich herum zu drehen. Nein, das war wirklich nicht klug gewesen. Mit letzter Kraft klammerte ich mich an dem Stoff fest und hoffte, dass Josef sein Ziel bald erreicht hatte. Als es so weit war, glitt ich völlig erschöpft auf den Schuh und versuchte, meinen Kopf wieder ein wenig klar zu bekommen.
Da hörte ich Josef fragen:
„Guten Abend, ich wollte schauen, ob Jesus bei euch ist. Ist er mit euch gegangen?“
Eine leise Frauenstimme antwortete bedauernd:
„Bei uns ist er nicht gewesen. Wir waren auf der Reise die ganze Zeit unter uns. Aber vielleicht ist er ja dort drüben bei Rahel. Mit ihren Kindern spielt Jesus doch gern.“
Tja, Josef, ich hätte dir auch gleich sagen können, dass du Jesus hier nicht finden wirst. Und weißt du was? Da drüben ist er auch nicht. Er ist noch in Jerusalem. Aber ich konnte ja sagen, was ich wollte, mich verstand ja hier sowieso keiner.
„Danke dir. Ich schaue mal nach. Habt eine gute Nacht“, antwortete Josef und setzte sich wieder in Bewegung. Oh nein, ich saß noch immer auf dem Schuh. Keine gute Idee..Überhaupt gar keine gute Idee. Es schaukelte so heftig auf und nieder, dass ich mich kaum noch halten konnte. Konnte er nicht wenigstens ein bisschen langsamer gehen? Nein? Oh bitte, bitte, bleib stehen. Ich halte das nicht mehr aus.
„Hallo Rahel, hast du Jesus gesehen? Er ist nicht bei uns und da dachte ich, frage ich mal bei dir nach, wo er doch so oft mit deinen Kindern unterwegs ist.“
Oh, Josef klang ein bisschen beunruhigt. Gut, das wäre ich an seiner Stelle auch. Schnell krabbelte ich weiter an seinem Mantel hinauf und kam glücklicherweise oben an, bevor Josef wieder losgehen konnte.
„Ich muss dich enttäuschen, Josef“,erwiderte Rahel kopfschüttelnd, „ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen.“
„Okay, ich danke dir Rahel. Falls du ihn sehen solltest, sag ihm, er soll zu dem großen Baum dort kommen. Wir lagern dort.“
„Das mache ich“, nickte Rahel, „ich hoffe, du findest ihn bald.“
Dankend hob Josef seine Hand und ging noch eiliger als zuvor. Zum nächsten Bekannten. Und zum nächsten. Und wieder zum nächsten. Solange, bis keiner mehr übrig blieb. Völlig aufgelöst lehnte sich Josef an den erstbesten Baum, der sich ihm bot. Er raufte sich die Haare und murmelte leise:
„Jesus, wo steckst du? Herr, hilf mir. Wie soll ich das nur Maria sagen?“
Ich spürte, das Josef am liebsten nicht zu Maria zurück gekehrt wäre, zumindest nicht mit dem Wissen, dass er jetzt hatte. Aber es musste sein. Sein Kopf senkte sich und schwerfällig stieß er sich vom Baum ab. Bis zu Maria war es nicht mehr weit, aber Josef schien es ellenlang. Hätte er nicht vorhin so langsam gehen können? Dann wäre mir dieser Ausflug nicht so auf den Magen geschlagen.
Aber jetzt wurde es interessant. Er war bei Maria angekommen, die den Kopf fragend hob.
„Wo ist Jesus? Wollte er noch bei seinen Freunden bleiben?“
„Maria“, begann Josef zögernd, „er ist nicht da. Ich konnte ihn nirgends finden.“
Nun redete er sich in Rage.
„Ich bin zu jedem gegangen, den wir kennen. Und sogar zu einigen die wir nicht kennen. Niemand hat ihn gesehen und niemand weiß, wo er steckt. Er ist unauffindbar.“
„Josef...Josef“, versuchte Maria Josef mit erhobener Hand zu stoppen. „ich habe verstanden, was du mir sagen willst. Das heißt also, er ist nicht mit uns auf dem Heimweg. Er ist noch in Jerusalem.“
Bei ihren eigenen Worten weiteten sich Marias Augen und sie sank wieder auf ihren Platz am Feuer.
„Josef, wir müssen wieder zurück. Jetzt. Sofort. Ich…“
Moment mal, jetzt? Wie sollte das gehen? Es war stockdunkel und ich hatte noch nichts gegessen.
„Maria, das geht nicht. Wir können jetzt nicht los“,stimmte Josef mir ohne sein Wissen zu. „Es ist jetzt zu gefährlich. Ja, ich weiß, du machst dir unglaublich große Sorgen. Das tue ich auch, aber lass uns erst einmal schlafen und morgen, ganz früh, kehren wir um und suchen Jesus in Jerusalem. Einverstanden?“
„Aber...Josef, ich“, wandte Maria schwach ein, „Josef, ich kann nicht einfach hier liegen und auf morgen warten. Er ist ganz allein, in einer großen Stadt. Josef, er ist doch erst 12 Jahre alt. Er hat nichts zu essen, nichts zum Schlafen und dort in Jerusalem wimmelt es nur so von bösen Menschen.“
„Maria“, versuchte Josef seine Frau zu beruhigen. „ich weiß, aber es bleibt uns keine andere Wahl. Und haben wir nicht Gott? Meinst du nicht, dass er auf seinen Sohn aufpassen wird?“
Maria sah zu ihm auf, wischte sich verstohlen eine Träne vom Gesicht und nickte nach einer kleinen Weile.
„In Ordnung. Aber wir werden so früh wie möglich aufbrechen, ja?“
Josef nickte.
„Das machen wir. Nun lass uns schnell was essen und dann zu Bett gehen.“
Na, wenigstens war endlich raus, dass Jesus nicht da war. So was Blödes. Jetzt mussten wir auch noch eine ganze Nacht warten, bis wir ihn wieder hatten. Ich seufzte, und krabbelte dann unter meine Decke. Lieber schloss ich meine Augen schnell, damit ich morgen genug Kraft hatte.