Geschichte Woche 5
Nach Lukas 2,45-51
Das Abendessen war zügig eingenommen und schneller als ich schauen konnte, verkrochen sich Maria und Josef in ihrer Decke, um Schlaf zu finden. Um uns herum wurde es auch nach und nach ruhiger und irgendwann war nichts mehr zu hören außer dem leisen Säuseln des Windes, der über die Natur zog. Na gut, ein paar Schnarcher waren auch unter den vielen Menschen und durchschnitten die sonst so ruhige Nacht. Obwohl ich eigentlich den Schlaf dringend nötig hatte, setzte ich mich auf.
An Schlaf war für mich nicht zu denken. Zu sehr beschäftigte mich, wie es wohl Jesus ging und was er jetzt gerade in diesem Augenblick wohl machte. Ein Blick zu Maria und Josef verriet mir, dass ich nicht der einzige war, der so dachte. Unruhig drehten sich beide hin und her. Zwischendurch drang ein leiser Seufzer über ihre Lippen, um dann wieder in einer Wendung unter der Decke zu enden. Ich schüttelte den Kopf. Warum versuchten sie dann zu schlafen, wenn sie es doch nicht konnten? Maria drehte sich als erstes zu Josef und fragte leise flüsternd:
„Josef, du kannst auch nicht schlafen, oder?“
Josef rollte sich auf die Seite, wo Maria lag und seufzte leise.
„Nein, kann ich nicht. Ich mache mir Sorgen um Jesus.“
„Josef“, versuchte Maria vorsichtig, „da wir beide nicht schlafen können und uns die Sorge um Jesus nicht in Ruhe lässt, können wir dann nicht jetzt schon aufbrechen?“
Josef sah sie einen Moment stumm an, bevor er ihr antwortete:
„Maria, gern würde ich das tun, aber es ist so dunkel, dass wir den Weg nicht richtig sehen können und hier liegen überall Leute. Ich möchte niemanden verletzen, nur weil wir ihn nicht gesehen haben.“
Maria nickte verständnisvoll und legte sich dann auf den Rücken.
„In Ordnung. Es fällt mir sehr schwer, aber ich werde versuchen, so lange auszuhalten, bis die Dämmerung herein bricht. All zu lange wird es ja nicht mehr dauern.“
Josef tat es ihr nach und ergriff ihre Hand.
„Du bist tapfer. Wir werden uns beide bemühen.“
Kaum hatten sie so miteinander gesprochen, fielen ihnen auch schon die Augen zu und sie schliefen für eine kleine Weile ein. Nun gut, dann blieb ich eben alleine wach. Einer musste ja schließlich Wache halten. Ich starrte in das Feuer, das langsam kleiner wurde, ebenso wie meine Augen. Ehe ich mich versah, war auch ich eingeschlafen und erwachte erst, als sich meine Decke bewegte. Josef war versehentlich darauf getreten. Da hatte ich aber Glück gehabt. Schnell rappelte ich mich auf, nahm meine Decke und sprang ein wenig zur Seite, um nicht doch noch getroffen zu werden. Schnell rollte ich die Decke zusammen und verstaute sie auf dem Esel, sprang auf seinen Rücken und wartete darauf, dass Maria und Josef so weit waren. Zu meinem Erstaunen waren sie mit allem schon fertig. Nur das Feuer wurde noch rasch komplett gelöscht, um später keinen chaden anrichten zu können. Und schon ging es los, zurück nach Jerusalem. Auf zu Jesus, der dort irgendwo auf uns wartete.
Die Zeit verging und es fühlte sich an, als würde die Sonne stehen bleiben und ihren Dienst verweigern. Das stimmte natürlich nicht, aber es dauerte einfach so lange, bis wir endlich die Stadttore Jerusalems am Horizont erkennen konnten. Ich spürte, wie eine innere Unruhe sich bei allen breit machte. Alle konnten es kaum erwarten, endlich anzukommen. Josef zog den Esel noch schneller hinter sich her, als er es sowieso schon getan hatte und Marias Schritte hielten ohne ein Wort des Beklagens mit. Doch als wir dann die Stadttore passierten, brach schon wieder die Dunkelheit über uns herein. Ein weiterer Tag war vergangen. Vor uns lag Jerusalem mit seinen vollen Straßen und Plätzen, die auch jetzt am Abend noch gut belebt waren. Die Zuversicht, Jesus schnell zu finden, sank. Wie sollten sie in dem Gewühl nur Jesus entdecken? Er war doch um einiges kleiner als die meisten Leute um uns herum und würde in der Menschenmenge kaum zu sehen sein.
„Maria, lass uns alle Plätze aufsuchen, an denen wir mit Jesus gewesen sind“, versuchte Josef seine Ungeduld und seine Verzweiflung zu überspielen. Maria nickte nur und gemeinsam suchten sie alles ab. Sie fragten jeden, den sie an den einzelnen Orten antrafen. Aber keiner wusste etwas oder hatte Jesus gesehen. Manch einer antwortete noch nicht einmal, sondern ging stumm an uns vorbei, ohne uns zu beachten. Ich sprang von einer Ecke zur anderen und versuchte, einen Blick in die Häuser hinein zu werfen. Vielleicht hatte ja jemand Jesus bei sich aufgenommen. In wie viele Häuser ich auch hinein blickte, Jesus war nicht da. Die ganze Nacht suchten, fragten, spähten und erkundigten uns. Nichts. Nicht eine Spur. Am Ende blieb uns nur noch ein Ort.
„Jetzt“, Marias Stimme klang sehr mutlos, „bleibt uns nur noch der Tempel.“
„Dann lass uns dort hingehen.“, ermutigte Josef und wollte schon losstürmen, als Maria ihn am Arm festhielt.
„Josef, lass uns eine Pause machen. Meine Füße tun so weh vom vielen Laufen und mir fehlt die Kraft, weiter zu gehen.“
Oh nein, nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel. Hey Maria, nicht schlapp machen. Wir müssen doch Jesus finden. Nein, nicht hinsetzen. Aufstehen. Hoch mit den müden Knochen. Los, kommt.
Aber sie hörten nicht auf mich. Sie suchten sich eine ruhige Ecke, aßen eine Kleinigkeit und ruhten aus. Meine Güte, konnten sie nicht schneller essen? Jetzt schlossen sie auch noch die Augen. Das durfte doch nicht wahr sein. So würden wir Jesus nie finden. Ein wenig beleidigt setzte ich mich auf den Rücken des Esels und schmollte vor mich hin. Es dauerte einige Zeit, aber dann erwachten Josef und Maria aus einem unruhigen Schlaf, rappelten sich noch müde auf und gingen weiter Richtung Tempel.
Na endlich ging es weiter. Ungeduldig lief ich auf dem Eselsrücken auf und ab. Es wurde langsam wieder hell und die Sonne schien uns warm ins Gesicht. Sie vertrieb die Kälte der Nacht aus unseren Knochen und vertrieb die Müdigkeit vollends. Und dann standen wir auch schon direkt vor dem Tempel. Der Esel wurde fest gemacht und ich hüpfte schnell auf Marias Kopf, um mitkommen zu können. Auf meinen eigenen Beinen hätte ich es niemals geschafft, mit den beiden Schritt halten zu können. Jeder noch so kleine Winkel des Tempels wurde unter die Lupe genommen und ich kann dir verraten, es waren viele. Sehr viele mögliche Verstecke. Die Verzweiflung aller wurde immer größer, je mehr Verstecke wir ohne Jesus fanden. Wo war er nur? Wir kamen nun in das Innere des Tempels. Hier war nicht so viel Betrieb wie draußen. Hauptsächlich die Priester und einige wenige Menschen hielten sich hier auf. Es war auch deutlich ruhiger. Da richtete ich jich plötzlich auf. War das nicht eben gerade die Stimme von Jesus gewesen, die durch den Tempel drang? Nur leise zwar, aber ich war mir ziemlich sicher, ihn gehört zu haben. Scheinbar ging es nicht nur mir so. Auch Josef wandte sich zu Maria um.
„Maria, hast du das gehört? Das war doch Jesu‘ Stimme, oder?“
Eifrig nickte Maria und gemeinsam wandten sie sich der Richtugn zu aus der die Stimme gekommen war. Hastig schritten sie voran, immer dem Klang nach und was sahen unsere müden Augen mit einem Mal? Jesus, umringt von einiges Priestern und einigen Schriftrollen, über die sie sich zu unterhalten schienen. Den Gesichtern der Priester nach zu urteilen schienen sie sehr erstaunt zu sein, aber Maria und Josef achteten gar nicht darauf. Sie riefen Jesus und eilten auf ihn zu. Voller Erleichterung drückten und umarmten sie ihn. Schließlich ließ Maria Jesus los und sah ihn ernst an.
„Jesus, wie konntest du uns das antun? Einfach hier bleiben und nicht mit uns zu kommen. Das geht doch nicht. Dein Vater und ich haben dich verzweifelt gesucht.“
Jesus sah sie ein wenig erstaunt und ein bisschen traurig an. Ich dachte, er wolle sich jetzt entschuldigen, aber genau das tat er nicht. Wisst ihr, was er sagte? Mit leiser Stimme sagte er:
„Warum habt ihr mich denn gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“
Hä? Versteht ihr das? Er fragte, warum sie ihn gesucht haben? Hey, Jesus, das sind doch deine Eltern. Sie haben dich vermisst und deshalb haben sie dich gesucht. Und du musst dort sein, wo dein Papa ist? Ja richtig, dein Papa ist doch...Moment mal. Josef war ja gar nicht der eigentliche Vater von Jesus, das war ja Gott. Und wir befanden uns an dem Ort, wo Gott wohnte, dem Tempel. Ah, jetzt verstand ich. Er wollte dort sein, wo Gott wohnte, denn hier konnte er ihm nahe sein. Mein Blick auf Maria und Josef sagte mir allerdings, dass sie das nicht so recht verstanden. Mit geöffnetem Mund standen sie da und vernahmen Jesus‘ seine Worte. Schließlich klappten sie den Mund ohne große Reden zu schwingen wieder zu und nahmen Jesus bei der Hand. Ihnen schien es schier die Sprache verschlagen zu haben. Josef war der erste, der etwas sagte.
„Komm, nun wollen wir aber nach Hause gehen. Vielen Dank, die Herren, dass sie so gut auf ihn Acht gegeben haben.“
Die Priester nickten und einer der Älteren sagte:
„Euer Sohn hat uns sehr erstaunt. Er weiß enorm viel über die Schriften und seine Klugheit ist ausgesprochen weitreichend.“
„Danke“, sagte Josef nur und nickte ihnen zum Abschied zu. Endlich hatten wir Jesus gefunden und endlich konnte es nun nach Hause, nach Nazareth gehen. Ich kann euch sagen, dass war nicht nur für mich ein sehr spannendes Ereignis. Maria und Josef dachten noch des Öfteren darüber nach.